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von Anna Christina Harms
Mächtig erhebt sich die Colonna della Pace auf dem Platz vor der Kirche Santa Maria Maggiore, umgeben von umgefallenen und teilweise eingesunkenen Bruchstücken kannelierter Säulenschäfte, daneben weitere antike Architekturfragmente. Während die antiken Überreste im Schatten versinken, erstrahlt im Hintergrund Santa Maria Maggiore mit seiner von Ferdinando Fuga gestalteten barocken Außenfassade.
Symmetrisch, in klare Zonen gegliedert und mit einem imposanten zwei-stöckigen und drei Portale umfassenden Haupteingang. Dahinter, in einer sanfteren Grauzeichnung, der mittelalterliche Campanile vor den beiden Kuppeln der Capella Paolina (links) und der Capella Sistina (rechts).
Sucht man als Betrachter die Spuren der Antike im Bild von Piranesi fallen zuerst die kannelierten Säulenschäfte im Vordergrund auf. Umgestürzt, eingesunken, mit Pflanzen überwachsen und wie nach einem Erdbeben zurückgelassen, dominieren sie neben der Colonna della Pace den vorderen Bildgrund. Doch mit handwerklichem Geschick lässt Piranesi sie trotz der Anordnung im Vordergrund des Bildes durch die Verschattung zurücktreten, um den Blick auf ein anderes Bauwerk freizugeben: Die Kirche Santa Maria Maggiore mit der von Ferdinando Fuga gestalteten Außenfassade.
Ein Blick zurück: Die Außenfassade von Santa Maria Maggiore vor 1741
1741 gab Papst Benedikt XIV. den Auftrag zur umfassenden Umgestaltung der Außenfassade wie sie im Stich von Piranesi von 1748 zu sehen ist. Wie war der Zustand der Kirche vor der Restaurierung? Ein Stich von Giacomo Lauro, der mit „Roma 1612“ bezeichnet ist, liefert dazu Informationen. Er zeigt anstelle der prächtigen Portalzone von Fuga einen Eingangsbereich mit ionischen Säulen und einem schlichten Architrav. Anstelle der Loggia des Obergeschosses ist ein Mosaik aus dem 13. Jahrhundert sichtbar. Durch die rechts und links angebauten Gebäudeteile wirkt der Bau asymmetrisch. Der schlichte Vorbau mit den Doppelsäulen zieht gemeinsam mit dem imposanten Mosaik die gesamte Aufmerksamkeit auf sich.
Die Ausgewogenheit der gesamten Außenfassade, wie sie nach der Umgestaltung durch Ferdinando Fuga vorherrscht, gibt es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Denn während an der südwestlichen Gebäudeseite die Dächer des Nebenschiffes vor einem mittelalterlichen Anbau hervorschauen, ist die Umgestaltung der südöstlichen Gebäudeseite bereits im barocken Stil erfolgt.
Dies ändert sich mit der Beauftragung durch Ferdinando Fuga. Er schafft es, die Außenfassade als einheitliches Bauwerk wirken zu lassen und ganz im Stile des Spätbarocks findet die Gestaltung mit Blick auf die „antike Baukunst“ statt.
Ferdinando Fugas Umgestaltung der Außenfassade im Spätbarock
Wie auch schon die Architekten der Renaissance orientierten sich die Architekten des Barocks an den Architekturvorgaben der Antike. Neben den antiken Vorbildern, die es im römischen Stadtbild gab, setzen sich zeitgenössische Architekten auch mit den Schriften von Leon Battista Alberti auseinander, der wiederum auf die Schriften von Vitruv Bezug nimmt.
Für die Architektur sind dabei unter anderem die beiden Aspekte Schönheit und Ornament wichtig, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. Die Schönheit des Gebäudes zeigt sich dabei in seiner Symmetrie, seinen Proportionen und der Anordnung von Bauteilen. Barocke Architekten kannten diese Architekturvorgaben, jedoch wurden sie nicht streng umgesetzt, sondern stattdessen der vorhandene Formenschatz kreativ genutzt und dem Zeitgeschmack angepasst.
Auch die Gestaltung der Außenfassade von Fuga orientiert sich an diesen Punkten: Er harmonisiert sie, indem er den älteren Gebäudeanbau auf der südwestlichen Seite der Kirche dem Bau auf der südöstlichen Seite angleicht.
Die Idee der Spiegelung des Anbaus ist dabei nicht neu, sie taucht bereits in einer Publikation von Pietro de Angelis auf, die 1618 erscheint. Auf einem Stich ist hier zu sehen, dass der alte Portikus von zwei gleichen Anbauten flankiert wird. Ähnliche Überlegungen gibt es auch zu Zeiten Clemens XI. zu Beginn des 18. Jahrhunderts, als die Kirche Santa Maria Maggiore immer baufälliger wird und vor allem der Portikus starke Verfallserscheinungen aufwies. Es erfolgten Instandhaltungsmaßnahmen, eine vollständige Renovierung ist jedoch aufgrund der angespannten Staatskasse und der Priorisierung anderer Bauprojekte durch den Papst nicht möglich.
Erst mit der Beauftragung Ferdinando Fugas unter Papst Benedikt XIV. erfolgt die bereits mehrfach angedachte Umgestaltung der Außenfassade mit der Spiegelung der Anbauten. Dabei wird die Portalzone (vgl. Abb. 3) wieder dominantes Zentrum für den Betrachter und fungiert gleichzeitig als vertikale Spiegelachse des Baus.
Auch bei der Gliederung der Außenfassade wendet Fuga Prinzipien der antiken Architektur an, die Ausgestaltung der Gliederungselemente ist dabei jedoch freier und entsprechend dem Stil des Barock.
Die Außenfassade hat eine strenge vertikale Ordnung, dazu kommen die verwendeten Säulenordnungen: Im Erdgeschoss gehören die vorgelagerten Säulen und Pilaster der ionischen Ordnung an. Auch die Pfeiler sind mit ionischen Kapitellen gestaltet. Im zweiten Geschoss findet sich findet sich eine korinthische Ordnung. Die Säulenschäfte der Außenfassade sind jedoch ohne Kanneluren.
Wie in Abbildung 3 ersichtlich, verfügt die Portalzone über fünf Interkolumnien, Öffnungen zwischen den Säulen. Die äußeren und die mittlere Interkolumnien sind zusätzlich zum Gebälk mit einen Dreiecks- oder Segmentgiebel versehen. Das Gebälk selbst ist schmucklos und, abgesehen von der Verkröpfung, ohne Ornament. Lediglich der mittlere Eingang, der auf der vertikalen Spiegelachse liegt, ist im Segmentgiebel mit Wappen geschmückt.
Mit Ausnahme des Wappens fällt diese Strukturierung der Fassade unter den Begriff „Schönheit“, nach Battista Alberti. Als Ornament kommt die Bekrönung der Giebel durch kunstvoll gestaltete Wappen oder Engelsfiguren hinzu.
Die angebauten Gebäudeteile sind in ihrer Gestaltung zurückhaltender, übernehmen aber auf der untersten Ebene die Strukturierung der Portalzone. Allerdings finden sich auf den Pilastern nur ein Gebälk und keine Giebel. Verzierungen oder Ornamentik der Außenfassade der Gebäudeanbauten gibt es in Form mehrerer angebrachter Schrifttafeln und plastisch gestalteter Wappen. Hierbei hat Fuga sich an der bereits vorhandenen Struktur des südöstlichen Anbaus orientiert.
Während das untere Geschoß in der Höhe sowie der durch Pilaster und Säulen gegebenen Struktur bei den Seitenfassaden und der Portalzone gleich sind, ändert sich dies bei den oberen Geschossen. In der Portalzone erfolgt dies z.B. durch die höhere Giebelzone, auf der sich wiederum eine Balustrade befindet (vgl. Abb. 3). Auf der Balustrade stehen in der Achse der Säulen Skulpturen einiger „Santi Pontifici“ (heiliger Päpste), die von links nach rechts Papst Benedikt XIV., Papst Gregor der Große, Papst Sixtus III. und Papst Paschalis I. darstellen sollen.
Oberhalb der Balustrade werden die fünf Achsen des Erdgeschosses in drei Achsen überführt: Es entsteht eine Loggia mit einer dreiteiligen Arkadenarchitektur, bei der die mittlere Öffnung zwar nicht breiter, aber höher als die beiden anderen Öffnungen ist und das Gebälk mit beschriftetem Fries durchstößt. Darüber befindet sich ein verzierter Dreiecksgiebel (vgl. Abb. 4). Dieser wird noch einmal bekrönt von einer Statue der Gottesmutter mit dem Jesukind im Arm, die auf einem mit Voluten geschmückten und einem Emblem versehenen Sockel steht (vgl. Abb. 4). Die Ordnung der Wandfassade der seitlichen Gebäudeteile setzt sich als Hintergrund für die aufstrebende Gestalt der zentralen Loggia zur Mitte hin fort.
Die neugeschaffene, harmonisierte Außenfassade bietet dem Betrachter eine imposante Kulisse, wobei diese kurze Beschreibung die Tatsache unterschlägt, dass die Portalzone noch weitere architektonische Besonderheiten zu bieten hat. Zwei seien hier kurz erwähnt:
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- Bei der Loggia handelt es sich um eine Benediktionsloggia. Eine Definition zur Benediktion findet sich auf der Seite „kathweb“.
- Das Mosaik aus dem 13. Jahrhundert, das man auf dem Stich von Lauro noch unbedeckt sieht, befindet sich auch weiterhin an der Rückwand der Loggia.
Die uns interessierede Frage ist jedoch, ob sich Ferdinando Fuga nur an den Vorgaben von Battista Alberti abgearbeitet hat oder ob sich neben den architektonischen Punkten wie Symmetrie und Säulenordnung noch weitere Rezeptionen und bauliche Entlehnung aus der Antike finden lassen.
Der Blick auf die Antike: Architektonische Rezeptionen in Santa Maria Maggiore
Auch wenn die prunkvolle Portalzone in ihrer barocken Opulenz auf den ersten Blick vergleichsweise wenig an die schlichtere Ausstattung von römischen Tempeln oder anderen Bauwerken erinnert, finden sich bei Ferdinand Fugas Gestaltung mehrere Aspekte architektonischer Rezeption der römischen Antike.
Welche Elemente der Außenfassade können als Rezeption der Antike gelten, sowohl im Ganzen als auch nur für die prachtvolle Portalzone?
Dazu zählt zu allererst die Gliederung der Außenfassade im Gesamten. Sie zeichnet sich durch eine strenge Ordnung aus, die von einer starken Symmetrie geprägt ist. Deutlicher wird jedoch die Rezeption der römischen Baukunst im Bereich der Portalzone. Die Gliederung hier erinnert stark an die Gliederung des Kolosseums (vgl. Abb. 5).
Wie auch beim Kolosseum werden mehrere Ebenen mit gleichgroßen Säulenöffnungen übereinander gebaut. Dabei wird die Säulenordnung der Portalzone ab der zweiten Ebene des Kolosseums übernommen: Auf eine ionische Ordnung folgt die korinthische Ordnung. Hingegen variieren die Abstände zwischen den Säulen auf der vertikalen Achse dort nicht.
Auch die Verwendung der Giebel in der Portalzone findet sich bei antiken Bauwerken. Ein Beispiel dafür ist der Dreiecksgiebel am noch heute gut erhaltenen Pantheon in Rom. Wie auch im Spätbarock wird das Giebelfeld bei antiken Bauten für die ornamentale Gestaltung genutzt. Im Vergleich zu den antiken Bauten werden jedoch die barocken Giebel nicht nur mit plastischen Reliefs, sondern vor allem mit Wappen und christlichen Motiven geschmückt.
Wird die zweite Ebene der Portalzone im Ganzen betrachtet, findet sich hier noch eine weitere Rezeption: Die Triumphbögen, wie beispielsweise der Septimius Severus-Bogen (Abb. 6) zu sehen ist. Besonders deutlich wird das bei den beiden Öffnungen unter dem Gebälk, links und rechts. Nicht nur der mit einer Widmung versehene Fries erinnert in seiner Gestaltung an die Inschriften auf den Triumphbögen, auch die gesamte Gestaltung der Rundbögen kommt der Bauweise der Triumphbögen nahe.
Die Triumphbögen, bzw. ihre Gestaltung, können auch als Vorlage für die Gestaltung der angebauten Gebäudeteile herangezogen werden. An beiden angebauten Gebäudeteilen finden sich jeweils nach der zweiten Säulenöffnung neben der Portalzone, von oben nach unten gesehen, ein mit Engeln umrahmtes Wappen, darunter eine mit Voluten, Putti und Fruchtgirlanden verzierte Inschrift (links Benedikt XIV, rechts Paul V.), darunter eine schlichte, in einen antikisierenden Rahmen eingelassene Inschrift, sowie auf der untersten Ebene eine Mischung aus Scheinfenster und potentieller Schrifttafel, deren Segmentgiebel von einem Putto mit Fruchtgirlande durchbrochen wird. Weitere Ornament-Elemente finden sich an der Unterseite dieses Scheinfensters.
Wird diese Gestaltung beispielsweise mit der Verzierung am Konstantinsbogen (Abb. 7) verglichen, fällt auf, dass sich Parallelen zwischen den Steinreliefs des Triumphbogens zu den Verzierungselementen der angebauten Gebäudeteile ziehen lassen. Deutlich wird dies in den Gegenüberstellungen in den Abbildungen 8 und 9 sowie 10 und 11.
So könnten die Inschriften und Wappen der Kirche Santa Maria Maggiore durchaus in Verbindung zu den Steinreliefs des Triumphbogens gesetzt werden, auch wenn sie gestalterisch der barocken Ästhetik entsprechen. Die Abbildung 8 zeigt eine Detailaufnahme des Wappens und der Beschriftung am westlichen Anbau der Kirche Santa Maria Maggiore, gegenübergestellt ist in Abbildung ein Relief im mittleren Bogen des Konstantinsbogens.
Neben der architektonischen Rezeption an den beiden äußeren Gebäudeteilen finden sich weitere Elemente der Triumphbögen im Bereich der Portalzone. Zum einen ist dies die Verwendung des Zahnschnitts am Gesims. Der Zahnschnitt ist ein architektonisches Element, das sich nicht nur bei Triumphbögen finden lässt, sondern auch an Tempeln und weiteren antiken Gebäuden.
Auch die Positionierung der Figuren auf der Säulenachse, lehnt sich stark an die Präsentation wichtiger römischer Persönlichkeiten auf Triumphbögen, wie hier im Beispiel des Konstantinsbogens (Abb. 7), an. Im Vergleich zu den Figuren auf Triumphbögen haben die auf der Säulenachse positionierten Figuren der Außenfassade von Santa Maria Maggiore eine weitere Funktion. Sie leiten den Blick des Portalbetrachters auf die Marienfigur und verstärken damit die Wirkung der Architektur als „aufstrebend“.
Santa Maria Maggiore: Die Außenfassade als Blick auf die Antike
Wird die römische Antike in der Außenfassade der Kirche Santa Maria Maggiore durch Ferdinando Fuga rezipiert?
Auch wenn es auf den ersten Blick so wirkt, als würde die Kunst des Spätbarocks mit ihrer Opulenz und ihrer Entlehnung einzelner Bauelemente aus der Antike keine direkte Rezeption der antiken Baukunst sein, so zeigt die Außenfassade der Santa Maria Maggiore, dass es sich bei ihrer Gestaltung, um eine spätbarocke Interpretation der antiken Baukunst handelt.
Für die Umgestaltung der Außenfassade greift Fuga auf die Prinzipien der Baukunst der Antike zurück, wie sie sich auch an Bauwerken wie dem Kolosseum, den Tempeln und auch Triumphbögen findet. Dadurch wird eine „neue“ Schönheit des Gebäudes, der Kirche Santa Maria Maggiore, durch eine Stärkung der Symmetrie und Hervorhebung der klaren Fassadengliederung geschaffen. Gleichzeitig schafft es Fuga mit seinem Einfallsreichtum und seinem Formenrepertoire der Kirche ein dem Geschmack des Spätbarocks entsprechendes Antlitz zu geben.
Eine ungewöhnliche Interpretation der antiken Baukunst, aus der heutigen Perspektive, aber dennoch Kunst nach antiker Bauweise im Verständnis des 18. Jahrhunderts.