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von Teresa Hantke
Ein komponiertes Gesamtkunstwerk − so kann man die Piazza del Popolo mit der angrenzenden Basilika Santa Maria del Popolo durch das Nebeneinander künstlerischer Stile sowie dem symmetrischen Erscheinungsbild bezeichnen. Und tatsächlich bringt die derartige Symmetrie aller vier Platzfronten den Besucher beim erstmaligen Betreten der Piazza zum Staunen.
Wie auch schon die von Norden kommenden Reisenden der Antike in die Stadt durch das, damals noch als Porta Flaminia bezeichnete1, Stadttor eingereist waren, betraten wir die Piazza von Norden durch die geschichtsträchtige Porta del Popolo.
Die Piazza del Popolo liegt im Campo di Marzio, im nördlichen Teil der Stadt und zählt zu den bekanntesten Plätzen in Rom. Im Norden liegt – seit der Errichtung der Aurelianischen Stadtmauer am Ende des 3. Jh. n. Chr. – die Porta del Popolo, ein Stadttor, das sich auf die Piazza öffnet, mit deren Gestaltung die Päpste im 16. Jahrhundert begonnen hatten. 1589 ließ Papst Sixtus V. in der Mitte einen ägyptischen Obelisken wieder aufrichten – den Obelisco Flaminio, der ursprünglich auf der Spina des Circus Maximus gestanden hatte und heute der zweithöchste Obelisk der Stadt ist.[2] 1658 erfolgte im Auftrag des Chigi-Papstes Alexander VII. durch den Architekten Carlo Rainaldi der Bau der beiden Zwillings- Kuppelkirchen S. Maria dei Miracoli und S. Maria in Montesanto an der Südseite des Platzes, welche die Via del Corso wie ein symmetrisches Tor flankieren. Der Architekt Giuseppe Valadier, der die heutige Gestaltung des Platzes im neoklassizistischen Stil zwischen 1811 und 1822 schuf, vollendete die symmetrische Anlage durch den Bau von halbkreisförmigen Mauern mit Brunnenanlagen im Osten und im Westen. Um ein harmonisches Gesamtbild zu kreieren, musste eine symmetrische Lösung auch im Norden, auf der Seite von S. Maria del Popolo, durchgeführt werden: Das bedeutete vor allem, dass das bisherige Kloster der Augustiner-Eremiten im Weg stand und abgebrochen werden musste. Valadier errichtete als Ersatz einen neuen Konvent, den er architektonisch bereits nächst der Kirchenfassade beginnen, indem er durch Bauten, die Cibo-Kapelle so ummantelte, dass er sie mit dem Konventbau in Verbindung setzen konnte. Als Pendant errichtete er auf der Nordwestseite des Platzes eine Kaserne für die Carabinieri, die der Fassadengestaltung des Konvents angeglichen.sind. Mit dem Zwillings-Kirchenpaar von S. Maria dei Miracoli und S. Maria in Montesanto stimmen seitdem gegenüber auf der Nordseite des Platzes das Konvent, die Kuppel der Cibo-Kapelle und eine in Größe und Gestalt identischer Bau, als „Scheinkapelle“ überein. So gelang es Valadier, eine architektonische Einheit zu formen und damit ein städtebauliches Prunkstück von Harmonie zu schaffen.
Im Anschluss an die Besichtigung der Piazza betraten wir das, leider durch bauliche Maßnahmen mit riesigen Werbeplakaten italienischer Luxusmarken verhängte, wichtigste Bauwerk der Piazza del Popolo, die Kirche Santa Maria del Popolo, einer der ältesten Pfarrkirchen Roms. Nach der mittelalterlichen Legende steht sie über dem Grab des Kaisers Nero, dessen verlorene Seele in einem Nussbaum, der sich dort befand, spukte. Um den mysteriösen Ereignissen ein Ende zu bereiten, ließ Papst Paschalis II. 1099 den Baum fällen und eine Marienkapelle an dessen Stelle errichten. Eine 1227 entstandene größere Pfarrkirche wurde durch Sixtus IV. 1472 durch einen Neubau im Renaissancestil ersetzt, 1505 durch Bramante erweitert und im 17. Jahrhundert durch Bernini im barocken Stil überarbeitet.3Erbaut als dreischiffige Pfeilerbasilika, besitzt die Kirche eine dreigeteilte Fassade aus römischem Travertin, die exemplarisch für die Frührenaissance in Rom stehen kann. Berühmt ist S. Maria del Popolo vor allem wegen der Kapellen und Grabmäler von Familien, die meist aus dem Umkreis des Papstes Sixtus IV. stammten, darunter mehrere Zweige der della Rovere, die Costa oder die Soderini. Alle Längskapellen gehören dem Ursprungsbau an und stellen für sich abgeschlossene Raumgebilde dar, die aus fünf Achteckseiten bestehen.4 An ihren Schrägwänden besaßen sie bis zur Barockisierung unter Bernini je ein Rundbogenfenster, das mit gotischem Maßwerk gefüllt war; sonstige einheitliche architektonische Gestaltung ist nicht zu erkennen. Schon eine Generation später, um 1500 war diese Gestaltung jedoch einigen Familien nicht mehr repräsentativ genug… Zwei Familiengrabmäler stechen jedoch aus der einheitlichen Gestaltung der Längskapellen heraus: die Cappella Chigi, ursprüngliche Schöpfung der Hochrenaissance sowie die in Pracht und Ausstattung mit dieser konkurrierende, gegenüberliegende Cappella Cibo, eine Neuschöpfung des Hochbarocks.[5]
Die Cappella Chigi, zweite Längskapelle im linken Seitenschiff, ein Werk Raffaels für seinen Vertrauten, den Bankier dreier Päpste Agostino Chigi, entstand in den Jahren 1513 bis 1516 und präsentiert sich als quadratischer Zentralbau mit einer überaus reichen Ausstattung. Raffael, dessen architektonischer Entwurf auf den Grundriss Bramantes für den Petersdom zurückgeht, entwarf sowohl die Architektur – einen von vier Pfeilern getragenen Zentralraum mit einer kassettierten vergoldeten Kuppel – als auch das Mosaik der Laterne6. Beim Tode des Auftraggebers und des Künstlers im Jahre 1520 war die Ausstattung der Kapelle jedoch noch nicht fertiggestellt; dies erfolgte erst durch den Chigi-Papst Alexander VII. (Pontifikat 1655 – 1667), dem die bisherige Ausstattung seiner Grabkapelle nicht genug war und somit Bernini den Auftrag erteilte, sie umzugestalten und weiter auszustatten. So wurde die Kuppel durch größere Fenster besser beleuchtet, die Grabmäler Sigismondo und Agostino Chigis an den Seiten mit Medaillons der Verstorbenen bekrönt und Raffaels Kuppelmosaiken restauriert. Den Altar erhöhte man um einige Stufen und im Zentrum der Kapelle legte man einen kreisrunden Zugang zur Gruft, die Bernini mit der opus-sectile-Darstellung eines wappentragenden Skeletts verschloss.[7] Die Kapelle wandelte sich so von einer in der Renaissance geschaffenen Grabkapelle zu einem durch Bernini bis 1661 gestalteten barocken Gesamtkunstwerk.
Das Prachtstück der Chigi-Kapelle war kurze Zeit später eine Herausforderung für Lorenzo Chigi, als dieser an die Erneuerung der alten Kapelle seiner Familie ging, die bis dahin wie die anderen Kapellen aus der Erbauungszeit aussah. Um die Chigi-Kapelle an Pracht, Großartigkeit und Feierlichkeit8 zu übertreffen, erfuhr die gegenüberliegende Cibo-Kapelle, gestiftet von Kardinal Lorenzo Cibo, einem Nepoten des Papstes Innozenz VIII., eine Neugestaltung im Sinne des Barock. Alderano Cibo, Kardinal-Bischof von Porto, veranlasste dafür 1682 einen Neubau der Kapelle und beauftragte den Bernini- Schüler Carlo Fontana gegenüber der Chigi-Kapelle die Familienkapelle der Cibo als ebenfalls eigenständigen Kuppelbau auszuführen.[9] Verkleidet mit kostbarem Marmor, wie Serpentin und Jaspis, erscheint die Grabkapelle des Kardinals Alderano Cibo als eine kleine Kirche in der Kirche. Der quadratische Zentralbau wird von einer Kuppel gekrönt, acht Doppelsäulen betonen den Hauptraum.
Das direkte Gegenüber der Chigi- und Cibo-Kapelle in Santa Maria del Popolo kann man als exemplarischen Paragone sakraler Architektur ansehen, der Santa Maria del Popolo zu einer der spannendsten Kirchen Rom macht. Aber mehr als die Kapellen der Chigi und Cibo fesselte unsere Gruppe etwas Anderes. Das Faszinosum verbarg sich in der kleinen Kapelle der Familie Cerasi links vom Hochaltar: in zwei Gemälden Carravaggios, die „Bekehrung des Saulus“ und „Kreuzigung des Petrus“.
1. Vgl. Hintzen-Bohlen 2005, S. 229.
2. Der höchste Obelisk der Stadt ist der Lateranese und steht heute auf der Piazza San Giovanni in Laterano.
3. Hintzen-Bohlen 2005, S. 230.
4. Vgl. Buchowiecki 1974, S.117.
5. Vgl. Buchowiecki 1974, S.114.
7. Strunck 2003, S. 135.
8. Buchowiecki 1974, S. 120.
9. Schelbert 2007, S. 177.
Bibliographie
Walther Buchowiecki, Handbuch der Kirchen Roms. Der römische Sakralbau in Geschichte und Kunst von der Altchristlichen Zeit bis zur Gegenwart, 3. Band. Die Kirchen innerhalb der Mauern Roms. S. Maria della neve bis S. Susana, Wien, S. 102 – 151, 1974.
Brigitte Hintzen-Bohlen, Kunst und Architektur. Rom, Königswinter 2005.
Georg Schelbert, Santa Maria del Popolo, in: Christina Strunck (Hg.), Rom. Meisterwerke der Baukunst von der Antike bis heute, Petersberg 2007, S. 177 – 182.
Christina Strunck, Bellori und Bernini rezipieren Raffael. Unbekannte Dokumente zur Cappella Chigi in Santa Maria del Popolo, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, 30. Bd. (2003), S. 131 – 182.