Die Fassade des Senatorenpalastes

(zur Hauptseite der Exkursion Rom 2018)

von Lukas Sonnabend

Der Kapitolinische Hügel ist seit nahezu drei Jahrtausenden Schauplatz zahlreicher historischer und fiktiver Ereignisse gewesen und bedeutendes Symbol der römischen Staatsmythologie.

Rom soll hier seine Wiege haben (Der Legende nach befand sich die Hütte, in der Romulus und Remus aufwuchsen, auf dem Kapitol); passenderweise ist der Kapitolsplatz auch für uns die erste offizielle Station nach der Ankunft in Ciampino.

Die architektonische Ausrichtung der Bebauung, die ab dem 7. Jahrhundert vor Christus nachgewiesen ist, änderte sich im Laufe der Zeit. Die platzbeherrschenden Bauwerke der Antike wie der Jupitertempel (6. Jh. v. Chr.) und das Tabularium blickten in Richtung des Forum Romanum (Abb. 1).

Abb. 1: Das Kapitol in der Antike

Nachdem die Bebauung des Kapitols zu Beginn des Mittelalters zu großen Teilen in Trümmern lag, wandte sich die Ausrichtung des Platzes mit dem Umbau des ehemaligen Tabulariums zum Senatorenpalast im Zuge der Revolution von 1143/44 um etwa 180 Grad. Diese Ausrichtung wurde auch von Michelangelo beibehalten, der 1561 den Vorgänger des heutigen unter Giacomo Della Porta gebauten Aufganges, der Cordonata, vollendet, der von nordwestlicher Seite auf den Platz führt.[1]
Der Kapitolsplatz in seiner heutigen Form ist im Wesentlichen unter Della Porta auf der Grundlage von Entwürfen Michelangelos (Abb. 2) errichtet worden.

Abb. 2: Etienne Dupérac, Kapitolsentwurf Michelangelos, 1569

Della Porta wich allerdings in einigen Punkten von den Plänen Michelangelos ab. Dazu gehört das vergrößerte mittlere Fenster im Obergeschoss des südlichen Konservatorenpalast (Abb. 3a und b), das am 1654 vollendeten Palazzo Nuovo, der den Konservatorenpalast auf der Nordseite spiegelt, übernommen wird (Abb. 4).

Abb. 3a und b: Der Konservatorenpalast

Herbert Siebenhüner zufolge bewirkt diese Akzentuierung der Mittelachse, dass die beiden seitlichen Paläste weniger als begleitende Flügelbauten wahrgenommen werden, die schräg auf den Senatorenpalast zulaufen, sondern „die von Michelangelo beabsichtigte Tiefenordnung“[2] des Platzes durch jene Mittelachse durchkreuzt wird. Diese Behauptung wird durch den Eindruck vor Ort durchaus bestätigt: Die Fassaden der seitlichen Paläste scheinen eine frontale Betrachtung einzufordern, wirken dadurch eigenständiger und stören somit die uniaxiale Ausrichtung der Platzgestaltung.
Eine weitere Beobachtung Siebenhüners ließ sich hingegen nicht so einfach verifizieren. Sie betrifft die Wirkung der Fassade des Senatorenpalastes (Abb. 5), wie sie unter Della Porta ab 1598 tatsächlich ausgeführt wurde im Unterschied dazu, wie Michelangelo sie vorgesehen hatte.

Abb. 5: Der Senatorenpalast

Sein Entwurf setzte einen vollständigen Neubau des Palastes voraus und wurde vermutlich schon deswegen aus Kostengründen verworfen: Buonarroti plante zwei gleichgroße Geschosse, der große Saal im ersten Stock des Gebäudes aber war für eine gleichmäßige Geschossaufteilung zu hoch. Die letztlich errichtete Fassade weise nun, so Siebenhüner, eine deutliche „Minderung des Reliefs und [die] Hervorhebung eines großen Flächenzusammenhang“[3] im Gegensatz zu Michelangelos Vorgaben auf, wie auch der Vergleich zum Konservatorenpalast nahelegt. Durch die verkleinerten Fenster im zweiten Geschoss ist eine größere Fläche mit Backstein verkleidet. Im Untergeschoss wechseln sich zwar entsprechend Michelangelos Idee Segmentbogen- und Dreiecksgiebel ab und ebenso ist die Kolossalordnung übernommen, die an diejenige des Konservatorenpalastes anschließt. Jene ist jedoch flacher als an diesem; der Eindruck von tektonischer Funktion der Kolossalordnung drängt sich beim Senatorenpalast nicht auf. Außerdem verwendete Della Porta keinen Travertin, dessen löchrige Struktur Siebenhüner als „lebhafte Oberfläche“[4] beschreibt, sondern Buntsandstein. Für ihn ist es demnach nur „folgerichtig“[5], dass Della Porta entsprechend des flacheren Programms auf den Baldachinaltan verzichtet.
Und Siebenhüners Beschreibung der flachen Reliefierung der Fassade ist zunächst einmal nachvollziehbar: Der Senatorenpalast macht bei der Betrachtung vor Ort einen anderen Eindruck als der Konservatorenpalast, und die Rede vom flachen Relief bleibt zumindest verständlich. Tatsächlich scheinen auch die Fensterumrahmungen, die Siebenhüner wiederum als einen Versuch Della Portas liest, der Flächigkeit der Fassade doch noch etwas Relief entgegenzusetzen,[6] weniger hervorspringend und plastisch als die des Konservatorenpalastes.[7]

Doch Siebenhüners Überlegungen gehen noch weiter: Die Folgen dieser Fassadengestaltung „für die Platzanlage des Kapitols [seien] außerordentlich.“[8] Das flachere Relief, „das Nachlassen der plastischen Werte und die Verringerung der Licht-Schatten-Kontraste“[9] löse die architektonische Umklammerung des Platzes. Diese Maßnahmen bewirkten eine optische Zurückverlegung der Bauflucht. Siebenhüner spricht hier von „Prospektwirkung“[10] und meint vielleicht das Bühnenbild beim Theater: Größere Entfernung wird durch Flachheit des Hintergrundes suggeriert. Zu diesem Effekt trage ebenfalls die Unbestimmtheit der Winkel des Trapezes aus den drei Palästen bei; die Fassade „entzieh[e] sich dem Betrachter bis an die Grenzen des Möglichen.“[11]

Diese Beobachtung – auf der Exkursion in einem Nebensatz auf dem Kapitolsplatz erwähnt –  schien nicht wirklich zu überzeugen. War der Senatorenpalast nicht doch ziemlich greifbar und befand sich dort wo man ihn erwartete? Ein erneuter Blick in die Literatur im Nachhinein aber ist erhellend: Beschriebener Effekt trete nur für den Betrachter ein, der sich an einem Idealstandort befindet, von dem aus man den gesamten Hügel im Blick hat. Womöglich stellt sich Siebenhüner hier etwa die Perspektive Piranesis vor, wie sie auf Abb. 6 wiedergegeben ist.

Abb. 6: Giovanni Battista Piranesi, Das Kapitol in Rom, aus: Vedute di Roma 1747/78 (Exemplar Hamburger Kunsthalle, Druck 1835, CC BY SA 4.0)

Eine zweite Möglichkeit gebe es aber, die Wirkung nachzuempfinden: Beim Aufgang auf den Platz über die Cordonata nehme man zuerst den Senatorenpalast wahr, der sich aber eben durch das flache Relief einer räumlichen Fixierung entziehe. Erst auf der Schwelle zum Platz verliere sich der Effekt und man sei „den Wirkungen […] des Umstelltseins ausgesetzt.“[12] Konnten wir also diese Beobachtung beim Beschreiten der Cordonata nachempfinden? Schwer zu sagen. Ich hätte wohl im Voraus darauf hinweisen müssen, auf genau diese Erscheinung zu achten, damit sie von jemandem wahrgenommen worden wäre. Eine Überprüfung kann aber vielleicht die nächste Exkursionsgruppe leisten, und man könnte vielleicht zusätzlich interessante Aspekte entdecken: Wirkt der Senatorenpalast monumentaler, weil er weiter entfernt erscheint? Gibt es möglicherweise einen Winkel, aus dem der Marc Aurel in der Platzmitte vor dem flachen Relief erscheint und von dem Bau wie vor einer Kulisse sich abhebt und so zur Geltung kommt, anders als wenn eine plastische Fassade ihn optisch einkeilen würde? Vielleicht findet sich ja sogar eine Möglichkeit, den idealen Zeichenplatz Piranesis einzunehmen und dem Effekt so zu voller Geltung zu verhelfen.

1. Zur Geschichte des Kapitols in der Antike: Filippo Coarelli: „Das Kapitol“ in: ders.: Rom: Der archäologische Führer, Darmstadt 2013, S. 26-41; im Mittelalter: Richard Krautheimer: Rom. Schicksal einer Stadt 313-1308, München 1987, S. 312-316; ab Michelangelo: Alessandro Nova: „Die szenische Gestaltung des Kapitols“ in : ders. Michelangelo. Der Architekt, Darmstadt 1984, S. 113-118.
2. Herbert Siebenhüner: Das Kapitol in Rom. Idee und Gestalt, München, 1954, S. 96.
3. Ebd., S. 112. Siebenhüner verweist an dieser Stelle auch auf Hans Sedlmayr: „Das Kapitol des Della Porta“, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte III, 1934, S. 264-274.
4. Siebenhüner, S. 112.
5. Ebd.
6. Ebd., S. 113.
7. Siebenhüner nimmt allerdings an, dass die Fensterumrahmungen an die Architektur des Hofes des Konservatorenpalastes anschließt, also eher michelangeleske Elemente der Fassade sind. Ebd., S. 111.
8. Ebd., S. 112.
9. Ebd., S. 113.
10. Ebd., S. 112.
11. Ebd., S. 113.
12. Ebd., S. 114.